von IG Architektur (Michaela)

Sieben Forderungen für einen Interessensausgleich zwischen Alt- und Neubau

Foto © Georg Scherer

Rückblick 

Bitte zu Tisch: „Abriss vermeiden – was macht Abbruch so attraktiv?”

7 Forderungen für den Interessenausgleich zwischen Alt- und Neubau

Am 6.10.2023 lud die IG Architektur zu einer Dialogveranstaltung zum Thema „Abriss vermeiden - was macht Abbruch so attraktiv?” ein. Expert:innen aus den Bereichen Verwaltung, Architektur, Politik, Projektentwicklung sowie Ingenieur:innen, Jurist:innen und Aktivist:innen diskutierten die wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, die den Abbruch von Gebäudebestand vorantreiben.

Bei dem Format „Bitte zu Tisch“ handelt es sich um nicht-öffentliche, moderierte Diskussionen, bei denen im Anschluss gemeinsame, konsensuale Forderungen zu den einzelnen Themen verfasst werden. Die sieben erarbeiteten Ansatzpunkte sind für den zeitgemäßen Umgang mit dem Bestand maßgeblich und dienen als Grundlage für weitere Diskussionen:

1 Ausweis über die graue Energie
Der Energieausweis berücksichtigt derzeit nur die Nutzenergie und umfasst nicht die Bewertung des Bestandes. Er soll inhaltlich ausgeweitet werden und auch die bei der Errichtung des Gebäudes aufgewendete Energie, die sogenannte graue Energie, beinhalten. Im Zuge dieser Betrachtungsweise können bestehende Gebäude als Guthaben ausgewiesen werden, bzw. Abbruch als negative Auswirkung auf die Treibhausgas-Emissionen erkannt und berücksichtigt werden. Wie der Energieausweis, soll auch der „Graue Energieausweis“ Grundlage für die Genehmigungsfähigkeit und Förderungen sein.

2 Mietrechtsgesetz neu denken
Die Regelungen des MRG für Altbauten sind nicht zeitgemäß Die Mietdeckelung durch den Richtwertmietzins für Gebäude, die vor 1945 bzw. 1953 errichtet wurden, ergibt in Kombination mit der für Neubauten ungleich höheren „angemessenen Miete“ eine der Hauptmotivationen für Abbruch und Neubau. Die geltenden Mietbeschränkungen erschweren die Finanzierung von energetischen Verbesserungen und motivieren Eigentümer:innen nicht, durch gutes Management die Betriebskosten zu senken. Das Etablieren einer Gesamtmiete – bestehend aus Miete, Betriebskosten und Energiekosten – führt dazu, dass für Eigentümer:innen durch die Reduktion der Energie- und Betriebskosten die Einnahmen steigen, ohne dass sich die Gesamtkosten für Mieter:innen ändern. Dadurch wird der Anreiz geschaffen, Bestand zu ertüchtigen und die Sanierungsquote zu heben. Die Anwendung der Gesamtmiete auf alle Wohnungen hätte positive soziale Aspekte und würde einen wirkungsvollen Ausgleich zwischen Alt- und Neubau herstellen.

3 Erweiterung der Bauordnungen um eine Um-Bauordnung sowie Umbau-OIB
Gesetzliche Regelungen und technische Normen werden für Neubauten entwickelt und damit ist die Transformation von Bestandsgebäuden oft nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand umsetzbar. Für eine zeitgemäße Weiternutzung ist es jedoch notwendig, dass auch tiefgreifende Umbauten, Umwidmungen und Nutzungsänderungen ermöglicht werden. Im Fokus steht das Schutzziel der Norm, statt fixer Werte. Die Anforderung, dass bei Umbauten die Standards von Neubauten erreicht werden sollen, muss aufgehoben werden. Angepasste Genehmigungsverfahren sollen auf die Gegebenheiten von Bestandsbauten eingehen und dennoch angemessene, hohe Standards gewährleisten. Durch die Gesetzgebung sind Regelungen zu schaffen, die die Transformation von Bestand ermöglichen und begünstigen.

4 Abweichende Anwendung der Bauklassen für Bestandsgebäude
Der Gründerzeitbestand wurde nach einer Bauklassenregelung „in Geschossen“ errichtet. Erst später kamen absolute Höhenangaben hinzu. Vielfach entsteht die Motivation für einen Ersatzneubau in der zusätzlich erreichbaren Geschoßfläche, da Gebäude mit niedrigen Raumhöhen und mehr Stockwerken errichtet werden können. Indem dem Gebäudebestand eine dem Ersatzneubau äquivalente Geschoßanzahl zuerkannt wird, kann dies entkräftet werden. Dadurch entfällt der Vorteil des Neubaus, mehr Flächen zu schaffen - und hebt das Interesse am Bestand weiterzubauen.

5 Abbruchbewilligung für alle Gebäude
Derzeit ist in Wien nur der Abbruch von Gebäuden, die vor 1945 errichtet wurden, bewilligungspflichtig. Diese Regelung fußt auf dem Interesse des Ortsbildschutzes. Eine Ausweitung der Bewilligungspflicht für alle Gebäude, gestützt auf das öffentliche Interesse des Klimaschutzes, würde eine Hürde für den Abbruch darstellen. Durch die Überprüfung, ob ein Abbruch tatsächlich unumgänglich und im Interesse des Gemeinwohls ist, könnten viele Gebäude und Strukturen erhalten werden.

6 Realistische Bepreisung Treibhausgasemissionen
Derzeit bilden Besteuerung und Emissionshandel weltweit ein äußerst uneinheitliches Bild, auch in Europa variieren die Preise zwischen 9 Cent und 119 € pro Tonne CO2e. Das deutsche Umweltbundesamt errechnet 809€ pro Tonne für die generationenübergreifenden gesellschaftlichen Kosten von Treibhausgas-Emissionen. Die externen Kosten der THG Emissionen von etwa einer Tonne CO2 pro m² Neubau und die hohe Abfallproduktion der Bauwirtschaft werden derzeit nicht ausreichend von den Verursacher:innen getragen. Eine Abgabe auf die Treibhausgasemissionen im Neubau, die der Finanzierung von Nachhaltigkeits- und Sanierungsförderungen zufließt, senkt die Umweltbelastung und motiviert das Bauwesen in Richtung Umbau.

7 Klimagerechte Transformation von Bestandsquartieren
Die Unsicherheit über die Möglichkeiten der Raumkonditionierung in Bestandsbauten, trägt zum „Komplexitätsbild Altbau“ bei, das Abbruch fördert und Neubau inklusive leichter planbarer Energieversorgung attraktiver erscheinen lässt. Gemeinsam mit der Planung der Quartiersentwicklung, der Begrünung des öffentlichen Raumes, der Einbauten und Infrastruktur, sind die Möglichkeiten für die Umstellung auf erneuerbare Energien, auf Fernwärme oder die Potentiale von Anergienetzen im Grätzl zu evaluieren und durch Quartierskommunikation zugänglich zu machen um Planungssicherheit herzustellen.

Die IG Architektur lädt Sie zur Schärfung und Umsetzung der Ziele ein, bringen Sie sich ein! organisation@ig-architektur.at


Foto © Georg Scherer

 


Zurück